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Montag, 19. Juli 2021 | Daniel Grummt

Wo seid ihr hin? - Fragen an Daniel Grummt

In der Blog-Serie "Wo seid ihr hin?" fragen wir ehemalige Kollegiaten und Kollegiatinnen, was sie heute machen und ob der ehemalige Forschungsgegenstand "Romantik" beruflich und privat für sie heute noch eine Rolle spielt. Die Fragen stellte unsere Forschungsstudentin Marie-Luise Grauel.

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Wo arbeitest du derzeit?
Bei der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Was ist das Beste an deinem Beruf, was das Schlechteste?
Der Soziologe Robert K. Merton hat es einmal als „Moral-Alchemie“ bezeichnet, dass ein sozialer Tatbestand, v. a. im Zusammenhang mit Tugenden, sowohl als gut wie auch als schlecht angesehen werden kann – je nachdem, welche Gruppe auf diesen schaut. Ausgehend von diesem Befund ist es fast schon magisch schön, anhand von Papier und einigen Unterschriften Fördermittel für Kunst- und Kulturprojekte an verschiedene Personen und Institutionen ausstellen zu können. Denn genau darin besteht ein Teil meiner Tätigkeit bei der Kulturstiftung. Dies ist besonders aus der Sicht der so geförderten Akteure gut. Aber es ist schlecht für alle jene, die dabei nicht zum Zuge kommen, weil wir sie nicht fördern können, da die Mittel nicht für alle reichen. Hierbei fühle ich doch schon oft mit, wenngleich Ablehnungen genauso dazu gehören.

Gab es zwischen Abschluss deiner Promotion und Beginn deiner jetzigen Stelle wichtige Stationen?
Auf die Beantwortung dieser Frage würde ich gerne in zehn oder 15 Jahren noch einmal zurückkommen, wenn ich darf. Erst mit gebührendem Abstand lässt sie sich wirklich sinnvoll beantworten.

Wie begegnet dir die Romantik in deinem Berufsalltag?
Tatsächlich kann eine solche Begegnung ganz konkret passieren, wenn wir als Kulturstiftung Projekte fördern, die sich direkt mit der Thematik der Romantik beschäftigen, z. B. in Form von Kunstausstellungen. Es kann aber ebenso passieren, dass potenzielle Projektträgerinnen und -träger auf uns als Fördermittelgeber mit ihren Ideen zukommen, die im romantischen Kosmos verortet werden können. Der kleine sächsische Ort Maxen mit seinem Heimatverein wäre dafür ein gutes Beispiel. Auf dem dortigen Schloss residierten nicht nur Hans Christian Andersen, Robert und Clara Schumann, sondern auch Ludwig Tieck, Ernst Ferdinand Oehme, Carl Gustav Carus, Ludwig Richter und viele andere mehr. Insofern dreht sich in meiner täglichen Arbeit zwar nicht mehr alles um „die“ Romantik, wie während meiner Zeit am Graduiertenkolleg, aber sie begegnet mir doch immer noch ab und an.

Und im Privaten?
Spätestens hier werde ich sie nicht mehr los, die Romantik. Denn ich bin zwar immer schon recht viel gewandert, v. a. in den Alpen. Aber kaum eine romantische Praxis habe ich mir in den letzten Jahren so sehr zu eigen gemacht, wie die des Wanderns und des gezielten Aufsuchens der „Waldeinsamkeit“, gerade an den Wochenenden. Inzwischen bin ich in Etappen einmal von Eisenach bis nach Görlitz und zurück zu Fuß unterwegs gewesen. Dabei bin ich nicht nur an von den Romantikern aufgesuchte Wohn- und Verweil-Orte gelangt, wie etwa nach Halle (Saale), Freiberg oder auf den Oybin im Zittauer Gebirge. Sondern ich habe mich auch auf die für sie nachträglich angelegten Wege begeben, z. B. auf den großen und den kleinen Novaliswanderweg: von Artern bis in den Kyffhäuser und von Jena nach Schlöben. Ausschau halte ich dabei ganz gerne nach unterschiedlichen Formen des Lyrischen. Das mag erstmal seltsam klingen, aber man findet in den silvae – lateinisch sowohl für Wälder als auch einstmals zur Bezeichnung von Gedichtsammlungen –, mehr Poesie als man glauben mag. Im Burgsteingebiet (im Grenzraum zwischen Bayern, Thüringen und Sachsen gelegen) bin ich einmal auf ein Gedicht des Malers und Gelegenheitsdichters Hermann Vogel gestoßen, der selbst Schüler von Ludwig Richter war und Andersen-Märchen illustrierte.

Welche romantischen Werke sind deine Wegbegleiter?
Ganz eindeutig ist das für mich persönlich das Gesamtwerk von Friedrich von Hardenberg (Novalis), dessen Schriften mich schon immer eigentümlich elektrisiert haben – und über den ich übrigens sagen würde, dass er ein Soziologe avant la lettre gewesen ist. Aber ich kann ebenso der Lyrik von Joseph von Eichendorff, Karoline von Günderrode und Heinrich Heine immer noch recht viel abgewinnen.

Was hast du am Graduiertenkolleg gelernt, wovon du heute profitierst?
Am Kolleg habe ich überhaupt erst entdeckt, dass ich ein Romantiker bin. Das war mir vorher nämlich gar nicht so klar – und das empfinde ich wirklich als einen großen Gewinn. Mir ist zudem bewusst geworden, dass die Soziologie ebenfalls in mancherlei Hinsicht romantische Züge aufweist – mehr noch als sie sich dies vielleicht selbst einzugestehen vermag. Das ist ein Aspekt, den man so erstmal entdecken muss. Ich profitiere davon insofern, als dass ich mir das immer wieder von Neuem selbst einsichtig mache und mich bei aller Verwaltungsalltäglichkeit frage: Steckt in diesem Antrag nicht doch ein Stück Poesie? „Schläft“ darin – frei nach von Eichendorffs Gedicht „Wünschelrute“ – nicht vielleicht „ein Lied“? Hat das nicht eine Chance auf Förderung verdient? Unabhängig davon, wie die Antworten jeweils ausfallen, bewahrt mich bereits das Stellen dieser Fragen davor, immer schon zu denken, ich wüsste alles oder hätte alles schon längst verstanden. Kurzum: Die Romantik hält mich im Denken wach, indem sie mich zu verzaubern weiß. Das klingt ziemlich paradox, aber genau darum geht es meines Erachtens: Sich zu fragen, ob die Dinge tatsächlich so sind und so sein müssen, wie sie vermeintlich sind, oder ob es nicht auch ganz anders sein könnte. Das kann man sich ähnlich wie bei einem Vexierbild vorstellen – z. B. beim „Landschafts-Kopf“: von Wenzel Hollar: Zeigt mir das Bild eine Landschaft oder doch einen liegenden Kopf?

Welcher Illusion gibst du dich gern hin?
„Illusion“ klingt für mich immer gleich so negativ, so als würde man sich selbst etwas vormachen oder sich betrügen wollen. Daher würde ich es transformieren und eher sagen: Ich träume grundsätzlich gerne und bin der festen Überzeugung, dass darin eine wichtige Grundfunktion für unser Leben steckt. Träumend nehmen wir allzu oft einen wünschenswerten Zustand vorweg, den wir dann nach Möglichkeit versuchen, so – oder so ähnlich – in der Realität umzusetzen, indem wir einem Traum nachgehen. Der Traum als Vorwegnahme der permanenten Gestaltbarkeit von Welt. Manchmal genügt jedoch auch schon die traumhafte Vorstellung als solche, um zu wissen, dass der schöne Schein gar keine Realität werden muss. Genauso wie der Anblick einer blauen Blume reichen kann, um sich zu erfreuen – ohne dass man diese erst pflücken, nach Hause tragen und ihr dort beim stetigen Verwelken zusehen muss.

Ein Gedicht des Malers Hermann Vogel im Burgsteinwandergebiet. © Daniel Grummt