Mitteilung

Mittwoch, 26. Juni 2019

Workshop: Funktionen unzuverlässigen Erzählens in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

„Mit welcher Überlegenheit auch immer der Erzähler vorgibt,
Bescheid zu wissen, er fischt hier bloß Luft aus der Luft.
Wenn er ehrlich wäre, müßte er passen.“

In Sibylle Lewitscharoffs Roman Blumenberg (2012, Teaser-Zitat S. 82) finden sich Kommentare des Erzählers, die explizit auf dessen eigene Unzuverlässigkeit verweisen. Damit ist Blumenberg kein Einzelfall in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Es finden sich zahlreiche Romane, in denen entweder, wie in Lewitscharoffs Roman, ein offen unzuverlässiges Erzählen festzustellen ist oder ein täuschendes, seltener ein axiologisch unzuverlässiges Erzählen vorherrscht.

Erzählerische Unzuverlässigkeit ist zwar kein Novum der Gegenwartsliteratur, es scheint jedoch, dass sich ein verstärktes Vorkommen unzuverlässigen Erzählens in der Gegenwartsliteratur beobachten lässt. Der Workshops „Funktionen unzuverlässigen Erzählens in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, der am 20. und 21. Mai 2019 an der Universität Jena stattfand, hatte daher zum Ziel, den Fokus auf dieses erzählerische Konzept zu legen: Ausgehend von literarischen Texten gingen die Beiträger*innen Leonhard Herrmann, Jill Thielsen, Andreas Schwengel, Swen Schulte Eickholt, Sanna Schulte, Alexander Kappe, Janina Jacke und Annika Bartsch den Funktionen unzuverlässigen Erzählens in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach, um schließlich mögliche Tendenzen und Muster zu erschließen.

Der anfängliche Verdacht, dass sich in der Gegenwartsliteratur durch unzuverlässiges Erzählen eine grundsätzliche epistemologische Skepsis äußert, bestätigte sich und eröffnete die weiterführende Frage, inwiefern eine Funktion dieser Erzählweise auch darin bestehen könnte, kulturelles Wissen, ethische Normen oder narrative Traditionen zu hinterfragen. Dabei erschien es vielversprechend, die Korrelation zwischen verschiedenen Formen erzählerischer Unzuverlässigkeit (etwa den drei Formen nach Kindt/Köppe 2014) und deren Funktionen in den Blick zu nehmen und zu fragen, ob verschiedene narrative Gattungen in Relation zu spezifischen Formen und Funktionen erzählerischer Unzuverlässigkeit stehen.

Die Ergebnisse des Workshops sollen in einem Schwerpunktheft der Zeitschrift für Germanistik (voraussichtlich 1/2021) erscheinen.