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Saturday, 12. December 2020 | Sandra Kerschbaumer

Aus der Werkstatt des Kollegs, Teil 10 mit Sandra Kerschbaumer

Hier geben Wissenschaftler und Wissenschaflerinnen des Graduiertenkollegs den Blick
auf ihren Schreibtisch frei: Sie schreiben oder sprechen darüber, welche Arbeit derzeit auf sie wartet,
worüber sie nachdenken, mit welchen romantischen Themen, Texten, Bildern und Musikstücken
sie sich gerade beschäftigen. In vielen Fällen sind das Aspekte einer Dissertation.
Es können aber auch im Entstehen begriffene Projekte und Bücher anderer Art sein.
Oder Gedanken und Nebenwege, auf die einen die Beschäftigung mit der Romantik führt.

Für die zweite Phase unseres Kollegs haben wir uns natürlich einiges vorgenommen. Dazu gehört die Veranstaltung einer großen Tagung im Sommer 2022. Auch wenn man es sich im Moment gar nicht richtig vorstellen kann, ist es doch schön, darauf hinzuleben, dass in absehbarer Zeit wieder Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland hier in Jena zusammenkommen können – zu Austausch, Podiumsdiskussion, Konzert.

Das Tagungsexposé, das auf meinem Schreibtisch liegt, trägt den Titel „GegenRomantik“. Bisher haben wir ja vor allem ermittelt, in welcher Weise die Romantik über ihren historischen Ursprung hinauswirkt und bis heute Formen der Weltdeutung, verschiedene Lebensvollzüge, Selbstreflexion und ästhetische Gestaltung anleitet. Kollegmitglieder haben aber nicht nur Modellbildungen als Gegenstand untersucht, sondern auch selbst ein wissenschaftliches Modell entworfen, das heißt Merkmale der historischen Romantik benannt und als wesentlich in den Raum gestellt: Die Spannung von holistischen Sinnentwürfen und modernem Kontingenzbewusstsein verstehen bei uns viele als ein wichtiges Merkmal der historischen Romantik und denken, dass diese auch zu ihrer Anschlussfähigkeit beiträgt.

Bei unserer geplanten Tagung wollen wir uns nun um die Gegenspieler der Romantik kümmern. Wir wollen uns mit der Romantik als Streitfall beschäftigen. Uns interessieren diejenigen, die die romantischen Antworten auf die mit den Umbrüchen des 18. Jahrhunderts virulent gewordenen Probleme grundsätzlich in Zweifel ziehen. Wir wollen wissen, mit welchen Gründen die Romantik kritisiert wurde – und wovon sich diese distinktionsfreudige Strömung selber abgrenzte. In welchem Verhältnis steht sie, stehen ihre Nachfolger zu Gegenmodellen? Die Tagung möchte zudem und gerade auch untersuchen, inwiefern zeitgenössische Fortführungen romantischer Muster als unzulänglich oder unpraktikabel wahrgenommen werden. Es geht also um Kontroversen und Konfliktlinien. In gewisser Weise folgen wir damit Karl Poppers Fallibilismus: „Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben“, so Popper, „sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen“. Auch aus der Kritik kann sich dann eine Modellierung des Gegenstandes ergeben – ex negativo.

Wir planen vier verschiedene Sektionen: Für Romantik vs. Realismus in der Kunst und Literatur sind Johannes Grave und Dirk von Petersdorff zuständig. Gustave Courbet hat sein Gemälde „Ein Begräbnis in Ornans“ (1849/50) nachträglich als „Begräbnis der Romantik“ charakterisiert, sein frühes Werk der 1840er-Jahre weist aber deutliche Bezüge zur romantischen Malerei auf. Das könnte mal jemand erklären. Hinter die Formel ‚Romantik vs. Liberalismus‘ setzen Tilman Reitz und Matthias Löwe ein großes Fragezeichen? Romantik vs. empirische Wissenschaft – hierzu möchten Caroline Rosenthal und ich Gäste einladen: Wissenschaftshistoriker*innen für das 19. Jahrhundert, aber auch Leute, die uns darlegen können, wo romantische Denkmodelle in der Ecocriticism-Debatte auftauchen und mit welchen Argumenten sie abgeschmettert werden. Christiane Wiesenfeldt und Stefan Matuschek interessieren sich für abgrenzende Polemik in der Publizistik der Gegenwart. ‚Romantik‘ und ‚Antiromantik‘ haben ihrer Ansicht nach noch immer einen hohen Streitwert. Wir wollen ihn aufspüren in der Literatur- und Kunstkritik und im politischen Feuilleton!

Von Mittwoch bis Freitag wollen wir in einem weit entfernten Juni tagen. Abends auf einem Podium diskutieren und gemeinsam ein Konzert besuchen. Vor allem aber sollen auch auswärtige Student*innen kommen, um an einer Summerschool teilzunehmen, die die Tagung vorbereitet – und natürlich sollen sie schöne Ausflüge in der Gegend unternehmen. Die Gedanken richten sich auf eine zeitliche Ferne. Das Exposé ist aber ganz konkret. An ihm wird gewerkelt, dann wird es rundgeschickt, bearbeitet, wieder untergespült unter andere Papiere und Projekte und Alltagsgeschäfte.