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Montag, 22. Februar 2021 | Marie-Luise Grauel & Matthias Löwe

Aus der Werkstatt des Kollegs, Teil 15

Hier geben Wissenschaftler und Wissenschaflerinnen des Graduiertenkollegs den Blick auf ihren Schreibtisch frei: Sie schreiben oder sprechen darüber, welche Arbeit derzeit auf sie wartet, worüber sie nachdenken, mit welchen romantischen Themen, Texten, Bildern und Musikstücken sie sich gerade beschäftigen. In vielen Fällen sind das Aspekte einer Dissertation. Es können aber auch im Entstehen begriffene Projekte und Bücher anderer Art sein. Oder Gedanken und Nebenwege, auf die einen die Beschäftigung mit der Romantik führt.

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Marie-Luise Grauel und Matthias Löwe im Gespräch über Politische Romantik und Romantisierung von Politik bei Carl Schmitt und Novalis

Matthias Löwe: Frau Grauel, Sie haben eine interdisziplinäre Bachelorarbeit in der Politik- und Literaturwissenschaft geschrieben. Gutachter der Arbeit waren der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Dreyer und ich. Der Titel Ihrer Arbeit lautet: „Politische Romantik und Romantisierung von Politik. Carl Schmitt und Novalis im Widerspiel“. Warum haben Sie zum Thema politische Romantik ausgerechnet diese beiden Akteure gewählt?

Marie-Luise Grauel: Ich verstehe die politische Romantik als epochenübergreifendes ideengeschichtliches Phänomen: Zum einen entstehen um 1800, während der historischen Epoche Romantik, Texte, die auf politische Ereignisse reagieren. Diese Texte wirken fort und erfahren im frühen 20. Jahrhundert besondere Aufmerksamkeit, nämlich im Zusammenhang mit der ‚Konservativen Revolution‘. Einer der führenden Köpfe dieser rechtsintellektuellen Gruppierung war der Staatsrechtler Carl Schmitt. Mit seiner 1919 veröffentlichten Schrift „Politische Romantik“ leistete er den entscheidenden Beitrag zu dieser ‚Renaissance‘ der politischen Romantik, weil er dem Phänomen einen Begriff gab, der einige Wirkung hatte.

M. L.: Analysiert wird also zum einen jene Schrift, die den Begriff „politische Romantik“ überhaupt erst geprägt hat, nämlich diejenige von Carl Schmitt. Hinzu tritt Schmitts „zentrales Rezeptionsobjekt“, nämlich die historische Romantik und ihre politischen Interessen, die am Werk von Novalis veranschaulicht werden. Die Vorgehensweise, mit der Schmitt und Novalis in Zusammenhang gebracht werden, nennen Sie mal metaphorisch ein „Widerspiel“, mal einen „Dialog“; sie sollen in ein „Gespräch“ gebracht werden. Es geht also offenbar nicht um ein Rezeptionsverhältnis – worum dann? Welche methodischen Überlegungen stehen dahinter?

M. G.: Es geht auch um ein Rezeptionsverhältnis, aber nicht ausschließlich. Diese Herangehensweise hat den Vorteil, dass Novalis und Schmitt als unabhängige kulturgeschichtliche Subjekte aufgefasst und zunächst einmal einzeln näher betrachtet werden. Die beiden erst in einem zweiten Schritt miteinander ins „Gespräch“ zu bringen, ist insofern gewinnbringend, als die Romantik so nicht nur durch die Schmittsche Brille betrachtet wird und sich damit auch die blinden Flecken seines Romantikbildes aufzeigen lassen.

M. L.: Der zentrale Akteur, mit dem sich Schmitt in seiner Schrift auseinandersetzt, ist jedoch Adam Müller – ein Romantiker aus der ‚zweiten Reihe‘. Novalis spielt dort nur eine Nebenrolle. Diese einseitige Textbasis ist Schmitt auch vonseiten der Forschung immer wieder zum Vorwurf gemacht worden. Warum haben Sie Schmitt in Ihrer Arbeit dennoch mit Novalis konfrontiert und nicht mit Adam Müller?

M. G.: Ich habe mich dagegen entschieden, Schmitt und Müller gegenüberzustellen, weil die Arbeit nicht zum Ziel hat, die Romantikkritik Carl Schmitts auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Vielmehr wird von einem Spannungsverhältnis zwischen dem politischen Denken Schmitts und jenem der Romantiker ausgegangen. Dafür scheint Novalis aus zwei Gründen besonders geeignet: Zum einen entspricht er der von Schmitt abstrahierten Schablone eines Romantikers, besonders in einem Aspekt, den Schmitt als „Ablehnung des bewussten Machens“ bezeichnet. Damit ist gemeint, dass die Romantiker nie aktiv politische Ämter bekleidet hätten, was in dieser Verallgemeinerung schlicht falsch ist. Auf Novalis trifft es allerdings zu: Trotz mehrfacher Nachfrage hat er es verweigert, im Sächsischen Landtag mitzuwirken. Zum andern – und das ist das zentrale Argument – lässt sich das behauptete Spannungsverhältnis anhand der politischen Schriften von Novalis besonders gut illustrieren.

M. L.: Dröseln wir einmal auf, worin genau dieses ‚Spannungsverhältnis’ besteht und schauen uns dafür zunächst das Romantikbild Carl Schmitts an. Er bestimmt die Romantik weniger über konkrete Inhalte wie Rittertum, Mittelalter, Natur, Tiefe, Gefühl usw., sondern interessiert sich vor allem für ästhetische Verfahren und Weisen der Weltwahrnehmung. Fraglos hat er damit einige Aspekte der romantischen Ästhetik durchaus treffend beschrieben, besonders ihre Flucht vor allen festen Standpunkten und ihre Tendenz zum „ewigen Gespräch“, wie er das nennt. Was ist dran an diesem Romantikbild von Schmitt?

M. G.: Einerseits hat Schmitt auf sehr präzise Weise zentrale Aspekte der Romantik und ihrer politischen Ideen dargestellt. Besonders seine Diagnose vom „ewigen Gespräch“ scheint mir sehr treffend. Auch kann man seine berühmte Formel des „subjektivierten Occasionalismus“ teilweise bejahen. Damit attestiert er den Romantikern eine zufällige Weltbeziehung, die weder an Normen noch an Entscheidungen gebunden ist. Sie ist insofern „subjektiviert“ als an die Stelle Gottes nun das Subjekt tritt. Sieht man von der polemischen Verzerrung ab, die in dieser Formel liegt, dann hat Schmitt doch richtig erkannt, dass die Romantiker ihre Vorstellungen von Staatlichkeit nicht mit einer konkreten realpolitischen Organisationsform verbunden haben.

M. L.: Und welche Aspekte der frühromantischen Ästhetik fallen bei Schmitt unter den Tisch? Wofür hat er keinen Blick?

M. G.: Beispielsweise impliziert seine Occasionalismus-These auch, dass die Romantik heute revolutionär und morgen konservativ sei. Das halte ich für eine starke Übertreibung. Zudem hat er ihre Staatsorganismus-Vorstellungen als „vorübergehende Stimmung“ bagatellisiert, denn darin besteht eine gewisse Nähe zu seinen eigenen politischen Ideen, die er nicht eingestehen will.

M. L.: Damit kommen wir nun zur zentralen These: Das Spannungsverhältnis besteht also einerseits in gewissen Parallelen zwischen den Schmittschen Staatsvorstellungen und denjenigen der Romantiker. Andererseits lässt Schmitts Romantikbild wesentliche Aspekte vermissen. Ist das nicht ein bewusstes, strategisches Verschweigen, das sein Argument besser funktionieren lässt?

M. G.: Das würde ich so sehen, ja. Ihm ist eine große analytische Fähigkeit zuzugestehen, die nahelegt, dass diese Aspekte nicht einfach übersehen, sondern bewusst überblendet werden, um seine Argumentation zuzuspitzen.

M. L.: Hinter Schmitts Rücken lassen sich also uneingestandene Gemeinsamkeiten feststellen, nämlich zwischen seinen eigenen politischen Ansichten und denen seines „Rezeptionsobjekts“, der politischen Romantik, die er nicht zugeben will. Könnte man das noch weiter vertiefen: Worin genau bestehen diese Gemeinsamkeiten?

M. G.: Der zentrale Berührungspunkt zwischen Schmitt und Novalis besteht, ganz allgemein gesprochen, in einem „Missbehagen gegenüber Liberalisierungsprozessen“. Man muss das allerdings noch einmal genauer aufschlüsseln: Novalis’ Missbehagen gilt einer modernen Gesellschaft, die in ausdifferenzierte Bereiche zerfällt und sich von einem sinnstiftenden Prinzip (wie Gott, der Religion) zunehmend entfremdet. Er plädiert deshalb für eine religiöse Fundierung der politischen Praxis, was in seiner Europa-Rede besonders anschaulich wird. Schmitts Unbehagen ist hingegen mit einer sehr konkreten Alternative verbunden, die er an die Stelle der liberalen Demokratie setzen will: den autoritären Staat.

M. L.: Beide Akteure, Novalis und Schmitt, äußern also ein Unbehagen gegenüber Liberalisierungs- und Pluralisierungsprozessen. Allerdings formuliert Schmitt eine konkrete Alternative aus, während sich die Frühromantiker der Ausformulierung solcher konkreten Lösungen verweigern.

M. G.: Genau, das lässt sich am Beispiel von Novalis’ Vorstellungen des ‚poëtischen Staats‘ gut veranschaulichen: Zentral ist das gemeinschaftliche – wenn man so will ‚organische‘ –Zusammenleben. Unter welcher Staatsform diese Gemeinschaft organisiert wird, bleibt jedoch offen.

M. L.: Mir stellt sich die Frage, weshalb Schmitt sich überhaupt so energisch an der Romantik abarbeitet, sich in einem so kritischen Furor speziell gegenüber Adam Müller ergeht, wenn er doch einige zentrale Ideen (Unbehagen gegenüber Liberalisierungsprozessen, Staatsorganismus-Vorstellungen) mit ihr teilt.

M. G.: Das ist eine gute Frage, die auch in der Forschung immer wieder auftaucht: Weshalb hat Schmitt eine in der Ideengeschichte bereits totgeglaubte politische Theorie wieder ans Licht gebracht, um sie anschließend ein zweites Mal zu begraben? Ein Erklärungsversuch wäre, dass sein eigentliches Angriffsziel gar nicht die Romantik ist, sondern der Liberalismus. Er sieht in der romantischen Vorstellung vom ‚ewigen Gespräch‘ eine Art Vorläufer der parlamentarischen Diskussion. Und in einem solchen Parlament kommt es, so sein Analogieschluss, nie zu einem festen politischen Beschluss.

M. L.: Hier zeigt sich, denke ich, ein zentraler Erkenntnisgewinn Ihrer Vorgehensweise, Schmitt nicht mit seinem Intimfeind Müller, sondern mit einem anderen historischen Vertreter der Romantik zu konfrontieren: Die Verkürzungen seines Romantikbildes erscheinen dann in einem grelleren Licht. Auch seine Strategie wird dadurch besonders deutlich: Er benutzt die Romantik als Vehikel für Liberalismuskritik.

M. G.: Im Anschluss daran drängt sich auch die Frage nach Schmitts Bild von der liberalen Gesellschaft auf, die er mithilfe der Romantik zugleich beschreiben und diskreditieren will. Vor allem in der Formel des ‚ewigen Gesprächs‘ liegt doch auch eine verzerrte Wahrnehmung vom liberalen Staat – Würden Sie dem zustimmen?

M. L.: Ja, das sehe ich genauso. Schmitt bedient damit Denkmuster der konservativen Revolution, für die Liberalismus mit radikalem Subjektivismus und Individualismus gleichzusetzen ist. Er ignoriert dabei aber, dass man auch in einem liberalen Staat durch die Aushandlung von Interessenkonflikten zu so etwas wie letztgültigen Entscheidungen kommen kann. Darin liegt ein weiterer blinder Fleck seiner Kritik. – Zum Schluss noch eine persönliche Frage, die Ihre Stimmung während des Projektes betrifft: Die Auseinandersetzung mit Carl Schmitt ist nicht gerade ‚leichte Kost‘, vor allem weil er später als glühender Faschist in Erscheinung getreten ist. Wie war das, sich hinab in diesen dunklen Keller der Ideengeschichte zu begeben?

M. G.: Einerseits sehr interessant, weil in Schmitts Scharfsicht und in seiner rhetorischen Raffinesse eine gewisse Faszination liegt. Andererseits besteht genau darin das Problem, um nicht zu sagen, die Gefahr: Schmitt versucht, den Leser in seinen Bann zu ziehen, ihn für seine Argumentation zu gewinnen. Er beschneidet Zitate, camoufliert sein eigentliches Anliegen, besetzt Begriffe semantisch immer wieder neu. Der Schmitt-Forscher Reinhard Mehring hat das einmal sehr schön formuliert: Schmitts Schriften schaffen durch Hermetik einen außerordentlichen Bedarf an Hermeneutik. Genau das verlangt dem Rezipienten dann doch eine ziemliche Anstrengung ab.

Gespräche unter Pandemie-Bedingungen: Matthias Löwe und Marie-Luise Grauel im Zoom-Call

Schreibtischansicht bei Marie-Luise Grauel

Schreibtischansicht bei Matthias Löwe.