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Montag, 14. Dezember 2020 | Patricia Kleßen

Aus der Werkstatt des Kollegs, Teil 12 mit Patricia Kleßen

Hier geben Wissenschaftler und Wissenschaflerinnen des Graduiertenkollegs den Blick auf ihren Schreibtisch frei: Sie schreiben oder sprechen darüber, welche Arbeit derzeit auf sie wartet, worüber sie nachdenken, mit welchen romantischen Themen, Texten, Bildern und Musikstücken sie sich gerade beschäftigen. In vielen Fällen sind das Aspekte einer Dissertation. Es können aber auch im Entstehen begriffene Projekte und Bücher anderer Art sein. Oder Gedanken und Nebenwege, auf die einen die Beschäftigung mit der Romantik führt.

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Im Sommer hat unser Kolleg in Kooperation mit Uwe Ebbinghaus von der FAZ einen Journalistischen Workshop angeboten. Ich freue mich sehr, dass ich daran teilnehmen durfte und so die Chance erhielt, über eine fast vergessene Künstlerin der Zeit um 1800 zu schreiben. Therese aus dem Winckel ist mir bei den Recherchen für meine Doktorarbeit als Randfigur der Dresdner Romantik begegnet. Nun konnte ich sie selbst einmal in den Fokus rücken und mich intensiver mit ihrer spannenden Lebensgeschichte beschäftigen. Den fertigen Artikel im Feuilleton zu sehen, ist eine tolle Erfahrung und ein wirklich schönes Andenken an meine Zeit im Graduiertenkolleg 'Modell Romantik'. Allen Beteiligten möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für die Förderung und Unterstützung während meiner Promotionszeit danken.

Das Museum Bautzen hat mir freundlicherweise einige Kopien Thereses zur Verfügung gestellt, die in der Printversion leider keinen Platz finden konnten. Hier bietet sich die Gelegenheit für weitere Einblicke in ihr Werk.

Im Schatten Alter Meister

Therese aus dem Winckel kennt heute kaum jemand mehr. Die Lebensgeschichte der Malerin und Musikerin macht deutlich, welche engen Grenzen Künstlerinnen in der Zeit um 1800 gesetzt waren.

Am Dresdener Theaterplatz liegen barocke Bauten zur linken und Bildmotive romantischer Malerei zur rechten Seite. Die Namen, die wir spontan mit diesen Orten und Eindrücken verbinden, gehören überwiegend zu männlichen Politikern, Künstlern, Literaten. An Werke von Frauen wird selten erinnert. So weist auch am Theaterplatz Nr. 3 keine Gedenkstätte oder Tafel darauf hin, dass hier einmal das Haus einer populären Künstlerin der klassisch-romantischen Epoche gestanden hat. Das „Fräulein aus dem Winckel“, wie Therese von ihren Zeitgenossen genannt wurde, war in der Forschung bisher nur Nebenfigur. Hier und da taucht sie in den Briefen klassischer und romantischer Kreise um 1800 auf, wo sie gelobt wird für ihr Spiel an der Harfe und ihre originalgetreuen Kopien Alter Meister. Wirklich neugierig aber macht die Korrespondenz mit ihrem Freund und Förderer Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg. Darin tritt sie als faszinierende Persönlichkeit in Erscheinung – weltgewandt und ambitioniert auf der einen, demütig und unsicher auf der anderen Seite.

Der Briefwechsel setzt im Jahr 1806 ein, als sich die Malerin gerade auf den Weg nach Paris vorbereitet, wo sie ihre Kopierkunst im Louvre (damals noch Musée Napoléon) verfeinern will. Dass sie dort auf namhafte Künstler wie den klassizistischen Maler Jacques-Louis David trifft und diese ihr auch noch ein großes Talent attestieren, löst bei der jungen Frau aber nicht etwa einen Höhenflug, sondern eine regelrechte Identitätskrise aus. Stets habe sie nur gewollt, „recht brav und völlig im Geiste der alten Meister copiren zu lernen“. Nun aber, so schreibt sie an den Gothaer Herzog, sei ihr gesagt worden, dass es eine wahre Sünde sei, ihr Talent nur auf das Kopieren zu beschränken und keine eigenen Originale zu schaffen. Diese Möglichkeit aber schließt sie für sich aus, und zwar mit einer Begründung, für die alle Antifeministen Beifall klatschen würden: „Wäre ich ein Jüngling, so würde ich mich verachten, wenn ich nicht selbst schaffen lernte, doch untergeordnet sind die Kräfte und Fähigkeiten des Weibes, in freiwilliger Beschränkung nur kann es wahre Freiheit finden.“

Der Satz erscheint so unglaublich, dass man mehr über die Urheberin erfahren möchte. War das ernst gemeint? Immerhin gehörte sie einer Generation an, in der bereits viele Frauen künstlerisch aktiv wurden. Zudem befand sie sich in Paris, wo weibliche Emanzipationsbestrebungen viel stärker ausgeprägt waren als daheim. Außerdem war sie selbstbewusst genug, ihr Leben lang ledig zu bleiben und ihren Lebensunterhalt allein mit Malerei und Musik zu finanzieren. Es fällt daher schwer, ihr die freiwillige weibliche Unterordnung zuzuschreiben. Was erzählt die Biographie von Anette Strittmatter über diese Frau
Die prekäre Situation weiblicher Künstlerinnen

Therese aus dem Winckel wurde im Jahr 1779 in Weißenfels geboren und wuchs in Dresden auf. Ihre adelige Familie war mit genug Vermögen ausgestattet, um die Tochter in ihren frühen musischen und künstlerischen Ambitionen zu fördern. Therese lernte das Spiel an der Pedalharfe und erhielt privaten Zeichenunterricht – zunächst bei einer Lehrerin, schließlich bei einem akademischen Lehrer. Beide konnten ihr nur begrenzt weiterhelfen. Die Lehrerin war nicht studiert, der Lehrer nur im Zeichnen. In Konstellationen wie diesen nimmt die prekäre Situation weiblichen Künstlertums der Zeit ihren Anfang, denn „wahre Künstler gaben damals keinen Unterricht an Mädchen“ – so schreibt Therese selbst am Ende ihres Lebens in einer kurzen Autobiographie.

Damit sie sich mit den avancierten Techniken der Malerei auseinandersetzen konnte, lieh der Lehrer ihr Gemälde aus der Dresdner Galerie. Die entscheidenden Fertigkeiten für ein Kunststudium aber meinte Therese sich im Alleingang nicht aneignen zu können. Ihre fehlende akademische Ausbildung hoffte sie durch einen Studienaufenthalt im Ausland auszugleichen. Ihre Mutter, die sie auch begleitete, entschied, dass Paris der richtige Ort dafür sei. Im Musée Napoléon würden ihr Meisterwerke aus aller Welt zur Verfügung stehen, und zur Verbesserung ihres Harfenspiels gab es durch die Nähe zu Versailles ausreichend Expertise.

Zwar genossen alleinstehende auch in Frankreich weniger gesellschaftliche Akzeptanz als verheiratete Frauen, doch immerhin schien eine Künstlerinnenkarriere in Paris weitaus üblicher zu sein als in Thereses sächsischer Heimat: „Weibliches Talent wird hier weit mehr unterstützt und weniger unterdrückt als in Deutschland“, schrieb Therese 1806, dem Jahr ihrer Ankunft, und schob nach: „aber ich bin eine Deutsche und kann nicht hier bleiben.“
Bekenntnis zur Selbstbeschränkung als Selbstschutz?

Durch die bereits in Dresden gepflegte Bekanntschaft zu dem gut vernetzten Gelehrten Karl August Böttiger konnte sie sich während ihres Auslandsaufenthalts ein zweites Standbein als Korrespondentin aufbauen. Für Weimarer und Dresdener Journale schrieb sie ihre Eindrücke von Paris und dem dortigen Kunst- und Kulturgeschehen nieder. Auch ihre freundschaftlichen Briefe stießen wegen ihrer Reisebeschreibungen auf großes Interesse. Aus dem Winckel schickte sie teilweise im gleichen Wortlaut an Herzog August und andere Bekannte. Die Briefe wurden Dritten vorgelesen und mitunter auch ohne Thereses Einverständnis veröffentlicht. Die Künstlerin konnte daher nie genau wissen, welche Öffentlichkeit ihre Zeilen fanden. Und so war es möglicherweise auch eine Art Selbstschutz der erfolgreichen ledigen Frau, in einer Situation unklarer Rezeption immer wieder ihre Selbstbeschränkung auf die weibliche Bestimmung zu bezeugen.

Ende des achtzehnten Jahrhunderts im Zeitalter der Aufklärung herrschte noch immer die Überzeugung vor, dass übermäßige weibliche Einbildungskraft schädlich sei und gar zu Missbildungen bei Föten führen könne. Originell und genial zu sein war überwiegend Männern vorbehalten. Besonders im Verlauf des nächsten Jahrhunderts verfestigten sich die bürgerlichen Geschlechtscharaktere, die Frauen und Männern bestimmte Aufgaben und Sphären zuwiesen. Dass Frauen reproduktive Arbeit leisteten, nämlich Kinder zu gebären, war der Grund, sie auch auf andere für Pflege und Erhaltung zuständige Felder zu verweisen. Die Kopierkunst wurde dabei mit Rückgriff auf Geschlechtscharaktere als Äquivalent zur naturgemäßen Bestimmung der Frau betrachtet. Schließlich, so die zugrundeliegende Logik, diente das Kopieren von Kunstwerken der Erhaltung zentraler Werke der Kunstgeschichte; die Vervielfältigung der Werke half der Verbreitung von Kunstsinn und Bildung.

Kopien als Einkommensquelle

Diese Rollenbilder, die durch Ratgeber- und Unterhaltungsliteratur verbreitet wurden, belegen freilich nicht, dass das Alltagsleben von Männern und Frauen strikt getrennt und normiert war. Einfluss auf die Lebensentwürfe und Karrierewege der Geschlechter nahmen sie dennoch. So ist die Tatsache, dass sich in der Historienmalerei vergleichsweise wenige Frauen hervortaten, auch damit zu erklären, dass diese als zu brutal für das weibliche Gemüt galt und Frauen auch die üblichen Studien in Leichenhallen verwehrt wurden. Anette Strittmatter schildert, dass angehenden Künstlerinnen, die einen raren Platz an den Akademien erhalten hatten, früh und in einer sensiblen Phase der Selbstfindung klargemacht wurde, für welche Fächer sie sich eigneten, welche Techniken ihnen zustünden und welche Farben sie benutzen dürften. Dass Künstlerinnen der Zeit überwiegend im Bereich von Stillleben und Aquarellmalerei zu finden sind, ist auch dieser Art von Interessenlenkung zuzuschreiben.

Timo Trümper betreut die Kunstsammlung auf Schloss Friedenstein in Gotha, wo heute noch Kopien von Therese aus dem Winckel aufbewahrt werden. Im Gespräch betont er, dass gute Kopien für den privaten Kunstbesitz damals begehrt waren. Daher sei davon auszugehen, dass hinter Thereses Konzentration auf das Kopieren auch ökonomische Beweggründe standen. Spätestens seit der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Jahr 1806 war die Malerin auf einen Markt für ihre Kunst angewiesen. Ihr Vater war im Krieg verstorben, und die einsetzende Rezession entwertete das Vermögen der Familie. Die Heimreise nach Dresden im Winter 1808/09 finanzierte die Künstlerin bereits, indem sie in verschiedenen Städten Konzerte an der Harfe gab. Die Bekanntheit, die sie durch ihre Journalbeiträge erreicht hatte, verhalf ihr nun zu Auftritten im Heidelberger Kreis um Achim von Arnim, vor Dannecker in Stuttgart und bei Goethe und Adele Schopenhauer in Weimar.

Zurück in Dresden, organisierte sie eine Schau der Kopien, die sie in Paris angefertigt hatte – einerseits, um Kunstinteressierten die Alten Meister zugänglich zu machen, andererseits, um ihr Können als Kopistin unter Beweis zu stellen. Dass sie wenig später Gerhard von Kügelgens Porträtreihe der Weimarer Klassiker kopierte, ist nicht nur als Ehrung des befreundeten Künstlers zu verstehen – vor allem war die Nachfrage nach Kopien dieser Porträts so groß, dass die Abnahme trotz starker Konkurrenz relativ sicher war. Dass sie auch Caspar David Friedrichs „Kreuz an der Ostsee“ kopierte, kann als Zeichen ihrer künstlerischen Aufgeschlossenheit in einer Zeit verhärteter Fronten zwischen Klassizismus und Romantik gelten. Was genau sie zur Wahl ihrer Motive bewog, ist unbekannt. Die Qualität einer Kopie wurde Strittmatter zufolge an ihrem Verhältnis zum Original bemessen, Treue und Fleiß galten als die ausschlaggebenden Parameter. Nicht gefragt wurde danach, welche Intention eine Kopistin verfolgte, welches ihre Vorbilder waren oder unter welchen Eindrücken und Umständen die Arbeiten entstanden.

Hin und wieder beklagte sie in ihren Briefen, „kein Mann zu sein, der kühn wagen darf“. Dem Berufsethos der Kopistin blieb sie dennoch (oder deshalb) bis an ihr Lebensende treu. Sie schrieb, „dass das Weib mit Freuden vergessen seyn wolle, wenn nur jeder Kenner bei ihrem Werk gleich den Namen des ersten Schöpfers desselben ausrufe“. Dass dieses Vergessenwerden nicht in der Verantwortung der Künstlerin allein lag und auch nicht nur mit der Spezialisierung auf eine bestimmte Domäne zu erklären ist, bestätigt ein Blick auf die Geschichten von Schriftstellerinnen und Komponistinnen um 1800.

Die Nachwelt beurteilte die Werke von Männern und Frauen nach zweierlei Maß. Bei der Kanonbildung des neunzehnten Jahrhunderts erfuhren die Arbeiten von Künstlerinnen kaum Berücksichtigung und damit oft auch keine Überlieferung. Aus dem Winckel vermachte ihre sämtlichen Werke der Stadt Bautzen. In einer Schrift des dortigen Stadtmuseums ist zu lesen, dass man über keinen eigenen Gemäldebestand verfügte und somit ihr Nachlass den Grundstock für die heutige städtische Kunstsammlung bildete. Vollständig erhalten sind die 127 Gemälde dort nicht mehr.

Viele von ihnen wurden verkauft, um im Gegenzug Originale namhafter Künstler erwerben zu können. Manche Kopien befinden sich noch in der Dauerausstellung, die übrigen im Depot. Geworben wird auf der Homepage des Museums heute mit den für Touristen attraktiven Spitzenwerken – von Cranach bis Dix sind nur männliche Namen zu lesen. Therese aus dem Winckels Zurückhaltung bleibt ein Rätsel, gedankt hat sie ihr keiner.

Erstveröffentlichung: FAZ, 29. November 2020

Gemälde mit Therese ais dem Winckel

Therese aus dem Winckel: Selbstbildnis, um 1820 © Museum Bautzen

Himmel und Kreuz auf Berg

Kreuz an der Ostsee, Therese aus dem Winckel (zugeschrieben): Kopie nach Caspar David Friedrich, um 1808 (Datierung vermutlich fehlerhaft). © Bildverzeichnis Bestand Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud

Menschen in Wüste

Therese aus dem Winckel: Johannes predigt in der Wüste vor Zuhörern aus allen Nationen, vor 1810, Kopie nach Domenico Zampieri © Museum Bautzen

Engel mit Frau

Therese aus dem Winckel: Die hl. Katharina wird nach ihrem Tode von den Engeln über Land und Meer nach dem Berg Sinai getragen, um 1840/50, Kopie nach Heinrich Karl Anton Mücke © Museum Bautzen

Mutter Maria mit Kind Jesus

Madonna und Kind mit dem Johannesknaben, Kopie nach einer Kopie Domenichinos, Original von A. Carraci © Museum Bautzen

Gemälde Jesus

Therese aus dem Winckel: „Ecce homo“, Kopie nach Guido Reni © Museum Bautzen