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Mittwoch, 2. November 2016

Drei Fragen an: Christian Quintes

Gäste am Graduiertenkolleg beantworten drei Fragen zur Bedeutung von "Romantik" für ihr Leben und ihre Forschung.

1. Was verbinden Sie ganz allgemein mit ‚Romantik‘?

Ganz allgemein ist ‚Romantik‘ für mich eine besondere Stimmung. Diese bringt z.B. der Song There Is a Light That Never Goes Out der Band The Smiths (aus dem Album The Queen Is Dead, UK Rough Trade 1986) zum Ausdruck. Er enthält viele Elemente, die ich persönlich mit der Romantik in Verbindung bringe: Es gibt eine unbestimmte Sehnsucht, die im Song auf ein Gegenüber projiziert wird. Die Beziehung zu diesem ‚Du‘ wird idealisiert; gleichzeitig die Dauerhaftigkeit derselben in Frage gestellt. Die Möglichkeit, die als mangelhaft empfundene Welt durch den Tod zu verlassen, wird durchgespielt, durch den Konjunktiv aber gleichzeitig ironisch gebrochen. Am Schluss wird durch die mantrahafte Wiederholung des Songtitels aber gleichzeitig eine tiefgreifende Hoffnung zum Ausdruck gebracht (In einer früheren Textversion hieß es noch „There is a light in your eyes and it never goes out“. Morrissey hat sich aber bewusst dafür entschieden, die im Licht ausgedrückte Hoffnung vom ‚Du‘ zu lösen). Meine ‚romantische‘ Deutung des Songs ist aber natürlich auch darauf zurückzuführen, dass man als Germanist (der sich schwerpunktmäßig mit der Literatur der Romantik befasst) die Literaturepoche immer mitdenkt, wenn man den Begriff hört.

2. Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrem aktuellen Forschungsvorhaben? Wie setzen Sie sich in Ihrem Forschungsprojekt mit dem Phänomen ‚Romantik‘ auseinander?

Ich befasse mich in meinem Dissertationsprojekt auf Basis eines wissenspoetischen Ansatzes mit dem Traum in der Romantik, d.h. ich untersuche das Verhältnis von Literatur und Wissen in Bezug auf Traum. Daher differenziere ich zwischen drei Themenblöcken‘: (1) Das Wissen des Autors über Träume, das sich in seiner individuellen Traumtheorie widerspiegelt. Es ergibt sich aus Briefen, Tagebucheinträgen und theoretischen Äußerungen eines Autors. (2) Die literarische Darstellung von Träumen bei einem Autor, die man als seine Traumpoetik bezeichnen kann. Sie ist aus den fiktionalen Traumdarstellungen rekonstruierbar. (3) Die wissenschaftlichen Traumtheorien zeitgenössischer Forscher. Dies sind diejenigen der romantischen Anthropologen, philosophisch orientierten Ärzten, die auf Basis der Schelling’schen Naturphilosophie Theoriekonzepte entwerfen, welche den Traum physiologisch erklären können.

Ich habe für meine Untersuchung solche Autoren gewählt, die als repräsentativ gelten können und beschränke mich bei den literarischen Texten jeweils auf ein besonderes ergiebiges Werk. Vorgesehen ist zuerst Novalis als Vertreter der Frühromantik und Ausgangspunkt der romantischen Traumdichtung zu behandeln. Danach sollen die Traumtheorien der romantischen Anthropologen untersucht werden, an deren Anfang Gotthilf Heinrich Schubert (1780-1860) und an deren Ende Carl Gustav Carus (1789-1869) steht. Des Weiteren sollen behandelt werden: E.T.A. Hoffmann (1776-1822), Achim von Arnim (1781-1831), Clemens Brentano (1778-1842) und Joseph von Eichendorff (1788-1856).

Abgerundet wird die Arbeit durch einen einführenden Theorieteil, der den Begriff der Wissenspoetik und dessen Verwendung innerhalb der Untersuchung erläutert. Diesem theoretischen Teil folgt der oben erläuterte Hauptteil, an den dann das abschließende Synthesekapitel anknüpft. Hier werden die Erkenntnisse über die Traumtheorien der Autoren, wissenschaftliche Traumtheorien und Traumpoetiken gebündelt und miteinander verglichen, um so abschließend feststellen zu können, wie das Verhältnis dieser drei Themenblöcke zu bestimmen ist. Zentral ist dabei natürlich stets der Aspekt der ‚Romantik‘, denn die Autoren positionieren sich mit ihren Traumtheorien und Traumdarstellungen innerhalb bestehender Diskurse. Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwiefern sie sich etwa selbst als romantisch verstehen oder am Projekt einer romantischen Poesie mitarbeiten.

3. Im Graduiertenkolleg ‚Modell Romantik‘ wird davon ausgegangen, dass die Romantik modellbildende Qualitäten aufweist. Können sie etwas damit anfangen?

Ja, ich gehe fest davon aus, dass die Romantik diese Qualitäten besitzt. Eine meiner Kernthesen lautet, dass innerhalb der literarischen Romantik und der romantischen Anthropologie eine sehr komplexe und detaillierte Traumtheorie entwickelt wird, die auf der Schelling’schen Naturphilosophie basiert. Als letztere im Diskurs schon längst keine Rolle mehr spielt, ist die romantische Traumtheorie in groben Zügen aber noch immer präsent, etwa im Werk Mörikes oder bei Storm. Sie ist aber jetzt losgelöst von den philosophischen Bezügen, ist modellhaft geworden und bietet damit Anknüpfungspunkte für spätere Autoren.

Christian Quintes ist Doktorand am DFG-Graduierten­kolleg »Euro­päische Traum­kulturen« an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Er arbeitet an einer Dissertation mit dem Arbeits­titel »Traumtheorien und Traumpoetiken der deutschen Romantik«.

Vom 19. bis 22. Oktober 2016 war Christian Quintes zu Gast am Graduiertenkolleg „Modell Romantik“.