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Donnerstag, 16. Juni 2022 | Anja Burghardt

Drei Fragen an: PD Dr. Anja Burghardt

Gäste am Graduiertenkolleg beantworten drei Fragen zur Bedeutung von "Romantik" für ihr Leben und ihre Forschung.

1. Was verbinden Sie ganz allgemein mit ‚Romantik‘?

Mit ,Romantik‘ ist für mich ein bestimmtes Verhältnis zwischen Mensch und Natur sehr präsent: zwischen geborgenem Alleinsein und überwältigend-vernichtender Weite. Mich fasziniert, dass viele der immer wieder zitierten Gedichte, Kompositionen und Gemälde bei all der Wiederholung ihre Eindrücklichkeit behalten. „Ein einsamer Baum“ von Caspar David Friedrich (s. Bilddatei).

2. Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrem aktuellen Forschungsvorhaben? Wie setzen Sie sich in Ihrem Forschungsprojekt mit dem Phänomen ‚Romantik‘ auseinander?

In der polnischen Kultur nimmt die Romantik einen besonderen Stellenwert als Bezugspunkt im nationalen Selbstverständnis ein. Ich setze mich mit ihr in erster Linie als einem historischen Phänomen in der polnischen Literatur auseinander, wobei mich die gesellschaftspolitischen Fragen der Epoche, die lange Zeit ganz im Mittelpunkt der Forschung standen, weniger beschäftigen als die im engeren Sinne ästhetischen. Verschiedene ideengeschichtliche Hintergründe (beispielsweise die Rezeption des deutschen Idealismus, insbesondere von Schelling) und die vielseitigen literarischen Anregungen (u. a. aus der englischen, aber auch der französischen und russischen Literatur), die eingeflossen sind, interessieren mich hier. In meinem Projekt, in dem ich über das Motiv des Reisens Spielarten der Stimmgestaltung in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts untersuche, stehen die Begegnungen mit dem Fremden im Mittelpunkt; doch auch über das Reisen hinaus rückt das Moment der Transgression motivisch wie poetisch in den Blick. Im Lauf meiner Lektüren hat mich vor allem Juliusz Słowacki begeistert mit seinem für die polnische Literatur seltenen Humor und seinen beeindruckend verdichteten poetischen Kunstwerken.

3. Im Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ wird davon ausgegangen, dass die Romantik modellbildende Qualitäten aufweist. Können Sie etwas damit anfangen?

Ja, unbedingt. Eines der Beispiele dafür verbindet sich für mich mit dem Begriff der Aura (wie sie beispielsweise Walter Benjamin skizziert), also eine Faszination für Spuren vergangener Zeiten, ein schwer zu fassendes Authentisches und das Einmalige an einem konkreten Ort. Ein anderes Beispiel wäre das ,Erhabene‘, das sich in Kontexten der Ästhetik immer wieder aufdrängt; in seiner Verbindung mit innerer Widersprüchlichkeit scheint damit etwas eingefangen zu werden, das zwar in der Art künstlerischer Gestaltung für die Epoche der Romantik fraglos wichtig war, aber natürlich nicht grundsätzlich an diese Epoche gebunden ist. Unter anderem für solche Begriffe, Phänomene und Grundhaltungen finde ich die Herangehensweise des Graduiertenkollegs, die Romantik als modellbildend zu betrachten und darüber auch ihr vielfältiges Weiterwirken zu verstehen zu suchen, sehr produktiv und anregend.

Anja Burghardt war vom 7. bis 15. Juni zu Gast am GRK "Modell Romantik".