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Dienstag, 4. April 2023

Drei Fragen an: Prof. Dr. Frederike Middelhoff

Gäste am Graduiertenkolleg beantworten drei Fragen zur Bedeutung von "Romantik" für ihr Leben und ihre Forschung.

1. Was verbinden Sie ganz allgemein mit ‚Romantik‘?

Ein Bild, das mir sofort vor Augen steht, wenn ich an (die historische) ‚Romantik‘ – vor allem, aber nicht nur im deutschsprachigen Raum – denke, ist das Huldigungsbild „Oberon und Titanias Feenhuldigung“ (1843), das die Verschränkung von Ästhetik und Politik sowie zentrale romantische Konzepte, soziale Praktiken und Formen materieller Kultur der Romantik wie kaum ein zweites ins Bild setzt: ‚Sympoesie‘ und ‚Sympraxis‘, ein dynamisches, zum Teil grenzüberschreitendes Verständnis von ‚Natur‘ und den ‚Naturreichen‘, Arabeske, politische Vision und Shakespeare-Kult werden hier ästhetisch zueinander in Beziehung gesetzt und miteinander verwoben. Die Töchter Bettina und Achim von Arnims erstellten das Bild (und zugehöriges erläuterndes Gedicht) für Friedrich Wilhelm IV. und seine Frau Elisabeth; es lässt sich u.a. als Gegenentwurf zu (und Antwort auf) Bettina von Arnims kritische Auseinandersetzung mit Wilhelms Politik lesen, die sie in Dies Buch gehört dem König (ebenfalls 1843) entfaltet.

2. Womit genau beschäftigen Sie sich in Ihrem aktuellen Forschungsvorhaben? Wie setzen Sie sich in Ihrem Forschungsprojekt mit dem Phänomen ‚Romantik‘ auseinander?

Ich verfolge derzeit drei (kleinere und größere) Forschungsvorhaben, die eng an meine Frankfurter Professur mit dem Schwerpunkt Romantikforschung geknüpft sind: In meinem Buchprojekt ‚Romantik und Migration: Eine Wissensgeschichte‘ untersuche ich, wie in den romantischen Zirkeln im deutschsprachigen Raum über Migration (im weitesten Sinne) nachgedacht wurde. Dabei beleuchte ich nicht nur literarische Texte, die sich mit geflüchteten émigrés aus Frankreich, der hugenottischen Diaspora in Preußen oder mit politischer Vertreibung im Kontext der Koalitionskriege und (außer-)europäischen Revolutionen beschäftigen. Um das Verhältnis zwischen historischer Semantik und romantischer Ästhetik in Bezug auf das Diskursfeld ‚Migration‘ ausloten zu können, gilt mein Interesse vielmehr auch den Schriften der romantischen Naturforschung (Stichwort: Zugvögel und andere wandernde Lebewesen) und der romantischen Medizin (Stichwort: Wanderung krankmachender Substanzen). Des Weiteren befasse ich mich in einem größeren interdisziplinären Forschungszusammenhang mit den Formen und ästhetischen Modellierungen eines ökologischen Denkens in der Romantik (also gewissermaßen: avant la lettre). Fokus meiner Beschäftigung ist hier vor allem, wie romantische Texte Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und anderen Lebewesen sprachlich zu fassen suchen. Last but not least, arbeite ich im Rahmen des interdisziplinären DFG-Netzwerks „Aktuelle Perspektiven der Romantikforschung | Theorien, Methoden, Lektüren“ mit zahlreichen anderen Wissenschaftler:innen daran, die internationale Romantikforschung seit der letzten Jahrtausendwende systematisch zu differenzieren und sowohl diagnostisch als auch prognostisch zu reflektieren.

3. Im Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ wird davon ausgegangen, dass die Romantik modellbildende Qualitäten aufweist. Können Sie etwas damit anfangen?

Die Modelltheorie des GRK finde ich sehr schlüssig und bemerke – dies- und jenseits meiner beruflichen Auseinandersetzung mit der historischen Romantik –, dass ästhetische Prinzipien, vor allem aber auch bestimmte Philosopheme und lebensweltliche Praktiken laufend aktualisiert und für die jeweiligen Gegenwarten anschlussfähig gemacht werden. Ein ‚Modell Romantik‘ beobachte ich z.B. in meiner Auseinandersetzung mit den Ausprägungen eines ‚New Nature Writing‘, in dem eine „neue Romantisierung der Welt, eine poetische Naturwahrnehmung“ (Marion Poschmann, Laubwerk. Zur Poetik des Stadtbaums, 2017) gefordert wird, oder im Bereich des sich derzeit konstituierenden Forschungsfeld der Plant Studies, in dem z.B. Lorenz Okens transgressives Analogiedenken als Gewährsposition für eine radikale Revision herkömmlicher (anthropozentrischer) Vorstellungen des Pflanzlichen geltend gemacht wird. Aber man muss nur das Feuilleton aufschlagen, um zu sehen, dass das Modell ‚romantische Liebe‘ im Sinne einer auf (rational kaum erklärbaren) körperlich-seelischen Anziehungskraft beruhenden und häufig (z.T. vermeintlich) gegen soziale Konventionen und Erwartungen rebellierenden Form der Beziehung zwischen zwei Personen noch äußerst wirksam ist: So wurde z.B. kürzlich in der ZEIT die „romantische Komödie“ bzw. die „Romcom“ gegen den Vorwurf des „guilty pleasure“ verteidigt. Das modellbildende Vermögen der historischen Romantik hat sich in seinen (post-)modernen Aktualisierungen und kontinuierlichen Transformationen also noch lange nicht erschöpft und ich finde es wirklich großartig, dass ein GRK sich diesen Zusammenhängen auf so genuin interdisziplinäre Weise widmet.

Prof. Dr. Frederike Middelhoff ist im SoSe 2023 als Fellow zu Gast am GRK.

Huldigungsarabeske

"Oberon und Titanias Feenhuldigung". Huldigungsbild für König Friedrich Wilhelm IV. und seine Frau Elisabeth. Aquarell mit Goldhöhung über Feder auf Pergament, 1843. Quelle: Freies Deutsches Hochstift (https://freies-deutsches-hochstift.de/mediaguide/romantik-ausstellung/3-obergeschoss/schachspiel-mit-dem-koenig/oberon-und-titanias-feenhuldigung-1843/).