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Dienstag, 24. Mai 2016

Ein Abend mit Thea Dorn – Lesung aus "Die Unglückseligen" im Jenaer Volkshaus

Unsterblichkeit und Ewigkeit, Romantik, Religion, Wissenschaftsmoral, Liebe – das sind die Themen in Thea Dorns jüngstem Roman "Die Unglückseligen". Thea Dorn scheut weder diese ganz großen Worte noch die Herausforderung, die Zeit um 1800 und unsere Gegenwart mit ihren Figuren und Wissenschaften auf 552 Seiten aufeinander treffen zu lassen.

Am Montagabend, dem 9. Mai 2016, fanden sich viele neugierige Jenaer Literaturinteressierte im Volkshaus ein, um Thea Dorn aus ihrem Roman lesen zu hören und die anschließende Podiumsdiskussion zu verfolgen.

Dorns Protagonistin, die Molekularbiologin Johanna Mawet, ist überzeugt, das biologische Altern aufhalten zu können. Während eines Forschungsaufenthalts in den USA trifft sie im Supermarkt auf John, der seltsam abgeschieden von der amerikanischen Zivilisation und in seinem Alter völlig unbestimmbar scheint. Als sich ihre Wege erneut kreuzen und Johanna erst Zeugin seines Selbstmordversuches und dann seiner unerklärlichen körperlichen Regenerationsfähigkeit wird, ist ihre Neugierde geweckt. John stellt sich ihr als der 1776 geborene Naturwissenschaftler Johann Wilhelm Ritter vor und nach erster Skepsis glaubt Johanna, durch Ritter ihrem Ziel näherzukommen. Er, der nicht sterben kann, und sie, die das Sterben überwinden will, versuchen dem Grund der Veränderungen in Ritters Erbgut auf die Spur zu kommen. Johanna überzeugt Ritter, die galvanischen Experimente, die dieser vor 200 Jahren durchführte, an ihrem Körper zu wiederholen. Doch die quälenden Studien bleiben erfolglos. Hatte vielleicht doch der immer wieder zu Wort k ommende Teufel seine Hände im Spiel? …

Nachdem Thea Dorn aus dem Anfang des Romans gelesen hatte, hörte das Publikum eine Passage des Teufels und erkannte Jena wieder, als Johanna und Ritter vorbei an Lobdeburg und Plattenbausiedlung zu den Teufelslöchern fahren. Johanna glaubt, hier in Kontakt mit dem Teufel treten zu können: „Wir fahren einzig und allein deshalb nach Jena, weil hier der Ort ist, an dem es Ihnen und Ihrer Clique gelungen ist, den Teufel zu beschwören. Right?“, [1] erklärt sie Ritter ihr Vorhaben. Ob die Beschwörung gelingt und ob Johanna dem Rätsel der Unsterblichkeit auf die Spur kommt, verrät Thea Dorn nicht.

Über die Figur des Teufels, den Bezug zum Romantischen, die Religion und den Dialog zwischen verschiedenen Wissenschaften diskutierten mit Thea Dorn im Anschluss an die Lesung Prof. Dr. Erika Kothe (Mikrobiologin), Dr. Sandra Kerschbaumer (Germanistin), Prof. Dr. Miriam Rose (Theologin) und Raphael Stübe (Germanist). Nach dem Aufeinandertreffen von romantischer Wissenschaft und gegenwärtiger Molekularbiologie befragt, stellte Thea Dorn vor allem heraus, mit Die Unglückseligen an die Tradition des Fauststoffes anzuknüpfen und zwar mit gleich zwei Faustfiguren, Johanna und Ritter. Die Frage, ‚was die Welt im Innersten zusammenhält‘, so betont Thea Dorn, sei ungebrochen die menschliche Grundfrage bis heute und darum kreise auch ihr Roman. Vielleicht weckt die Autorin zu hohe Erwartungen, wenn sie erklärt, mit Die Unglückseligen einen neuen Faust in der Tradition von Goethe und Thomas Mann geschrieben zu haben, unbezweifelbar ist aber, dass die Idee der Einheit den Roman durchzieht. Interessant ist dabei Dorns Idee, in der Figur Johanna ebendiesen Erkenntniswillen an das Streben nach Beherrschung zu knüpfen. Auf Raphael Stübes Frage, ob Die Unglückseligen ein romantischer Text sei und worin die Autorin selbst die Romantik festmache, antwortete sie zustimmend, dass „das Buch durch und durch romantisch ist“. Neben der Auswahl des Protagonisten, des romantischen Physikers Ritter und seiner Gedankenwelt sei der Roman auch in seiner Struktur und den narrativen Verfahrensweisen ein romantischer Text: Thea Dorn stellt überzeugend die Polyperspektivität heraus sowie die „literarische Alchemie“ des Romans, mit der sie die Umsetzung der universalpoetischen Forderung nach der Vereinigung verschiedener Gattungen und Wissenschaften meint. Durch den Teufel gelangt außerdem nicht nur eine inhaltlich wichtige Figur in den Text, sondern die eingebrachte Stimme dient im Sinne der metanarrativen Transzendentalpoesie auch der Kommentierung des Geschehens und der Brechung von Lesererwartungen.
Einer der zentralen Aspekte bleibt in der Diskussion unerwähnt. Auf den ersten Blick scheint Johannas Sehnsucht nach Unsterblichkeit eine Adaption romantischer Ideen zu sein. Im Kontrast zu Ritter wird jedoch schnell deutlich, dass sich ihr Streben nach Unsterblichkeit wesentlich von der romantischen Sehnsucht nach Ewigkeit jenseits der physikalischen Existenz unterscheidet – Ritter wünscht sich ebengerade den Tod und damit die Möglichkeit des Übertritts in eine transzendente Sphäre, obschon ihn auch die Angst umtreibt, durch seine Lebensweise in der Hölle zu landen.
Es ist verständlich, dass die Autorin nach der Lesung nicht verraten will, wie der Roman ausgeht – immerhin sitzen zahlreiche Interessierte im Publikum, die den Roman noch nicht gelesen haben. Für die Frage nach dem Romantischen in Die Unglückseligen scheint jedoch gerade der Schluss von besonderer Bedeutung: Findet hier die Auflösung aller Grenzen in der romantischen Liebe und letztlich im Tod beider Protagonisten statt?

In einem Gespräch bei einem Glas Wein nach der Veranstaltung bestätigte Thea Dorn, dass die romantische Sehnsucht, die Skepsis und das Prinzip der Annäherung keine postmoderne Spielerei sei, die ihr interessant genug für einen Roman schien. Vielmehr könne durch die Bezugnahme auf die Romantik auf Probleme der Gegenwart aufmerksam gemacht werden. Ob Romantik auch als Lösungsstrategie oder Antwort verstanden werden kann, wollte Thea Dorn jedoch bewusst offen halten, denn die Romantik sei für sie doch eher das große Fragezeichen als eine klare Antwort.
So steht am Ende des Abends zwar weiterhin die Unentscheidbarkeit über den Status von Teufel, Teufelskind und der möglichen Synthese in der Schlussszene, und dennoch zeigten die bewegten Gespräche, die nach der Lesung im Treppenhaus des Volkshauses zu hören waren, dass die Besucher nicht nur gut unterhalten, sondern gedanklich angeregt nach Hause gingen.

Von Annika Bartsch

[1] Thea Dorn: Die Unglücksseligen, München 2016, S. 552.