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Dienstag, 2. Mai 2017 | Christin Veltjens-Rösch

Tagungsbericht: Romantische Urbanität. Transdisziplinäre Perspektiven vom 19. bis ins 21. Jahrhundert, 17.-19. November 2016, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Vom 17.-19. November 2016 fand an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Tagung „Romantische Urbanität“ statt. In 18 Beiträgen, 2 Abendvorträgen und bei einer Führung durch das von Theodor Fischer entworfene Universitätshauptgebäude diskutierten Historiker und Literaturwissenschaftlerinnen, Vertreterinnen der Kunst- und Architekturgeschichte ebenso wie Praktiker aus der Stadtplanung und Denkmalpflege über den Einfluss der Romantik auf urbane Phänomene des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Ausgerichtet wurde die interdisziplinäre Tagung von Gisela Mettele (Jena), dem Jenaer Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ und der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung.

Die historische Epoche der Romantik wurde nur in wenigen Vorträgen behandelt, wie etwa in dem Abendvortrag von Barbara Becker-Cantarino (Columbus, Ohio), in dem über die Bostoner Transcendalists und deren Rezeption der Schriften Bettine von Arnims über die soziale Frage in deutschen Städten gesprochen wurde. Der Fokus der Tagung lag klar auf den Aktualisierungen von Romantik, denen die Stadt seit dem 19. Jahrhundert Raum bietet. In einem jüngeren Ansatz der Romantikforschung wird davon ausgegangen, dass „Romantik“ als Modell bis in die Gegenwart fungiert und so Bezugspunkte für romantische Formen der Weltdeutung, der Selbstreflexion, der ästhetischen Gestaltung und der Lebensvollzüge liefert. Charakteristisch für diesen Ansatz ist, dass die Romantik als Vexierbild gefasst wird, in dem sich ein Wunsch nach Einheit und Sinnstiftung zeigt, der gleichzeitig selbstreflexiv zurückgenommen wird. Ganzheitsvorstellungen und Relativitätsbewusstsein werden zur Kippfigur. Ein konzeptueller Aufsatz zu diesem Ansatz der Romantikforschung wurde im Vorfeld der Tagung an alle Referent/innen verschickt, um den unterschiedlichen disziplinären Perspektiven eine Klammer zu bieten [1]

In ihrem einführenden und themenüberblickenden Abendvortrag formulierte Gisela Mettele (Jena) das Ziel der Tagung unter anderem in der Erprobung des Modellansatzes bei der Betrachtung der verschiedenen Facetten des Urbanen. Als zentrale Bezüge romantischer Stadtvorstellungen stellte Mettele die starke Orientierung an einer imaginierten Vergangenheit, die Betonung der Ästhetik, die Harmonisierung von Stadt und Land oder die hohe Wertschätzung von Fragmentarischem heraus.

Die erste Sektion „Von sichtbaren und unsichtbaren Städten“, die die romantische Aneignung und Wahrnehmungen des Urbanen zum Thema hatte, begann mit Überlegungen von Katharina Brichetti (Berlin). Romantik gilt Brichetti als eine nicht zeitgebundene Haltung, die das Streben nach Stimmungsqualitäten in der Wahrnehmung des städtischen Raums eint. Brinchetti stellte daher die Frage, ob die sinnlich-leibliche Wahrnehmung der Stadt mit ihren Resonanzen eine romantische Synästhesie ergäbe?

Caroline Rosenthal (Jena) sprach über die Novelle „Out of my skin“ (1998) von Tessa McWatt und über die Protagonistin Daphne, eine junge woman of colour, die in Streifzügen durch das nächtliche Montreal nicht nur eine ihr neue urbane Umgebung erkundet, sondern auch sich selbst sucht und findet. Rosenthal erläuterte, wie hier Denkfiguren und Motive der historischen amerikanischen Romantik in der nordamerikanischen Gegenwartsliteratur aktualisiert dargeboten werden, so etwa das Gehen, die Rolle des Flaneurs – die nun zur Flaneuse wird –, das Wilde oder die Sehnsucht nach Ganzheit.

Auch Stefanie John (Münster) zeigte in ihrem Beitrag zu der irischen Lyrikerin und Essayistin Eavan Boland eine dezidiert weibliche Auseinandersetzung mit romantischer Urbanität. John beschrieb die Ambivalenz in Bolands Werk als romantischen Selbstentwurf. Während Boland in ihren Essays gegen die englischen Romantiker anschrieb, weisen ihre Dublin-Gedichte viele romantische Bezugspunkte auf. Dieser vermeintliche Gegensatz gleicht dem Vexierbild, so John, das in der gegenwärtigen Romantikforschung diskutiert wird.

Die Vorträge der zweiten Sektion „Geschichtsbilder“ widmeten sich dem Phänomen der mittelalterlichen Inszenierung von Städten. Im 19. Jahrhundert wurden in Nürnberg und in Rothenburg ob der Tauber, wie Charlotte Bühl-Gramer (Nürnberg) und Matthias Asche (Potsdam/Tübingen) ausführten, romantische Tourismusstrategien verfolgt. Die Städte wurden als Erinnerungsorte an die gute alte Zeit inszeniert, bei denen romantische Vorstellungen von Einheit und Ganzheit bedient wurden. Nürnberg und Rothenburg ob der Tauber entwickelten sich als Gesamtkunstwerk zu echten Touristenhotspots. Sylvia Necker (München/Berlin) wies darauf hin, dass auch in Frankfurt in der NS-Zeit ein neues Stadtmarketingkonzept aufgehen sollte, das auf die Historisierung des Stadtbildes setzte. 1936 erhielt Frankfurt den Titel „Stadt des deutschen Handwerks“, der in Folge jedoch nicht mit romantischen Bezügen aufgeladen wurde.

In der Sektion „Stadt|Land|Fluss“ wurde deutlich, wie die Grenzen zwischen Stadt und Land in der historischen Romantik verschwammen und diese Harmonisierung zum romantischen Bezugspunkt auch in späteren Zeitschichten wurde. Die Gartenkunst in der Epoche der Romantik beschrieb Thomas Thränert (Berlin) am Beispiel Dresdener Ausflugsorte. Zentral in der zeitgenössischen Gartenbaukunst war die Inszenierung des schon Vorhandenen. In die Natur sollte möglichst wenig eingegriffen werden, so wurden etwa nur Wege für Spaziergänge durch die ungestaltete Natur gebaut. Über einen städtischen Diskurs, Naturdenkmäler im urbanen Raum zu integrieren, sprach Sönke Friedreich (Dresden) am Beispiel der Textilstadt Plauen. Hier sollten – die u. a. auch in der sog. Schwarzromantik beliebten – Haine in der Stadt errichtet werden als Kompensation für Plauener Industrialisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Jörg Dettmar (Darmstadt) berichtete von wild begrünten Landschaften vor den Toren zeitgenössischer Großstädte. In den letzten Jahren wurde gerade durch eine natürliche Begrünung eine neue Ästhetik in Industrielandschaften erschaffen, z.B. im Ruhrgebiet. Die Stadtränder dagegen erführen trotz wilder Begrünung keine ästhetische Aufladung und böten keine romantische Projektionsfläche, weil sie nicht wie die Zechen Geschichte, sondern unangenehmer Alltag sind.

Bereits zu Beginn der Sektion „Stadtentwürfe|Stadtbaukunst“ brachte Wolfgang Sonne (Dortmund) in Erinnerung, dass es in der Architektur keine romantische Epoche gab. Es gab aber dennoch einen regen Diskurs zur romantischen Architektur am Anfang des 20. Jahrhunderts. So beschrieb etwa Rainer Schützeichel (Zürich) die Diskussionen bei der Gestaltung des Ulmer Münsterplatzes (1925/26) als Kontroverse zwischen „Romantikern“ und „Klassizisten“. Als romantische Architekturutopie erläuterte Linn Burchert (Jena) die alpine Architektur von Bruno Taut (1919). Im Gegensatz zum Bauhaus wandte sich Taut um 1920 von der Funktionalität ab und widmete sich Entwürfen, die „in ihrer Totalität das menschliche Maß überstiegen“. Camillo Sitte (1843-1903) dagegen attestierte Wolfgang Sonne in seinem Beitrag keinen romantischen Zugang zu seinem malerischen Städtebau. Grundsätzlich bemerkte Sonne, könne Romantik auch kein Modell für Architektur sein, weil diese dinglich sei und keine Relativierung ermögliche. Lediglich, wo semantische, malerische oder repräsentative Aspekte möglich sind, ist eine romantische Architektur vorstellbar bzw. kann diese „Spuren von Romantik enthalten“.

Mit einem Vortrag über August Endell startete die Sektion „Detail|Ornament|Fragment“. Gleich Camillo Sitte wurde auch dem Architekten August Endell das Etikett Nicht-Romantiker angeheftet. Christan Salge (Berlin) betonte jedoch, dass Endells Wirkungsabsichten in seinen neuen Formen im Ornament (Fotoatelier Elvira, Hackeschen Höfe) zutiefst romantisch gewesen seien, da er mit seinem Werk bewegen und Emotionen auslösen wollte. Über die Fatti Urbani, Aldo Rossi und die Poesie urbaner Dinge sprach Celina Kress (Berlin). Konträr zu seinen Architekturkollegen war Aldo Rossi die Poesie wichtig, er lehnte jedes Planungsparadigma ab und setzte nicht ausschließlich auf Rationalität. Als Rossis Modell Romantik definierte Kress eben diese Verbindung von Logik und Poesie in seinen Entwürfen, die hier keinesfalls als gegensätzliche Ansätze gewichtet werden müssen. Auf Grundlage aktueller Beobachtungen der Rapszene mit ihrer „Blockromantik“, des schauerromantischen Dark Tourism oder der Aufwertung von urbanen Unorten beschrieb Christian Saehrendt (Thun) eine Sehnsucht nach dem wahren, authentischen Leben und fragte, ob es sich hierbei um eine neoromantische Welle handle? Resümierend verneinte er diese Frage jedoch. Es gäbe doch keinen aktuellen, romantischen, lebensweltlichen Gegenentwurf. Die ganzheitliche Utopie fehle und die romantischen Bezüge in seinen Beobachtungen seien zu marginal.

Die letzte Sektion zum „Heritage|Stadtmarketing“ begann mit Hans Rudolf Meier (Weimar), der darauf hinwies, dass die Wurzeln der Denkmalpflege in der Epoche der Romantik lag und dass romantische Werte bis heute in der Denkmalpflege erhalten geblieben sind. Meier nachfolgend berichtete der Jenaer Stadtplaner Matthias Lerm über Lückenbebauungen. Christoph Bernhardt (Erkner) brachte im letzten Beitrag der Tagung die jüngst in der Forschung stark rezipierten Konzepte von Romantik und Authentizität zusammen am Beispiel von Stadtwahrnehmungen und –deutungen im 20. Jahrhundert. Eingehender betrachtete er das Beispiel Eisenhüttenstadt.

In einem Schlussfazit resümierte Dieter Schott (Darmstadt), dass sich der Modellansatz als überaus tragbar und fruchtbar erwiesen hat für die Diskussion der „Romantischen Urbanität“. In nur einigen Beiträgen musste festgestellt werden, dass die Erprobung des Modellansatzes am eigenen Forschungsmaterial lediglich den Nachweis von „Spuren von Romantik“ zum Ergebnis hatte.

[1] Zum Modellkonzept vgl. Sandra Kerschbaumer/Stefan Matuschek, Romantik als Modell, in: Daniel Fulda/Sandra Kerschbaumer/Stefan Matuschek (Hg.), Aufklärung und Romantik. Epochenschnittstellen, Paderborn 2015, S. 114-155; http://www.modellromantik.uni-jena.de/index.php/forschungsprofil/ (letzter Aufruf am 31.03.2017)

verfasst von Christin Veltjens-Rösch

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